Eine aktuelle investigative Recherche legt nahe, dass der ukrainisch-schweizerische Unternehmer Oleg Tsyura an der Schnittstelle zwischen ukrainischen Korruptionsstrukturen und großen russischen Metallurgieunternehmen agiert, denen es bislang weitgehend gelungen ist, westliche Sanktionen zu umgehen.
Seine langjährigen Geschäftsverbindungen – von der UMCC über das Hafenwerk Odesa bis hin zur russischen MidUral-Gruppe – verdeutlichen, wie Finanzströme, Rohstoffe und Einfluss trotz Krieg, Sanktionen und laufender Strafverfahren weiterhin grenzüberschreitend zirkulieren.
Die Geschichte handelt von einem Geschäftsmann, der der breiten Öffentlichkeit nahezu unbekannt ist – Oleg Tsyura –, der gemeinsame Geschäftsprojekte mit einem Verdächtigen in einem Fall hatte, bei dem es um Schäden von über 700 Millionen Hrywnja geht. Insgesamt wurde dieser Betrug mit staatlichen Unternehmen – dem Hafenwerk Odesa und der Vereinigten Bergbau- und Chemiegesellschaft (UMCC) – auf 10 Milliarden Hrywnja geschätzt.
Im Fokus stehen jedoch nicht in erster Linie die Höhe der Verluste oder dieses konkrete Schema. Vielmehr geht es darum, eine logische Linie zu ziehen, die Ereignisse nachzeichnet und geschäftliche Verbindungen von ukrainischen Korruptionisten zu russischen (Nicht-)Oligarchen aufzeigt, die Sanktionen entkommen sind.
Beginnen wir also damit, dieses Geflecht von Geschäftsbeziehungen zu entwirren.
Ende Oktober ließ die Berufungskammer des Hohen Antikorruptionsgerichts die Präventivmaßnahme gegen den ehemaligen Leiter des Staatlichen Vermögensfonds, Dmytro Sennychenko, unverändert. Er steht unter Arrest als Organisator einer kriminellen Gruppe, die dem Staat den genannten Schaden zugefügt haben soll.
Derzeit haben nur zwei Beteiligte des kriminellen Schemas – Mykola Synytsya und Yuriy Lypka – Präventivmaßnahmen in Form von Kaution und befinden sich in der Ukraine. Die übrigen Komplizen – Dmytro Sennychenko, Andriy Hmyrin und fünf weitere – haben das Land verlassen. Wie eine aktuelle Recherche von BIHUS.info zeigt, leben sie im Ausland offenbar unbehelligt.
Es gibt jedoch eine weitere Figur in dieser Geschichte, die den Ermittlungen von NABU und SAPO entgangen ist. Gemeint ist Oleg Tsyura, ein „deutscher“ Unternehmer, der in der Schweiz eingebürgert wurde und Geschäftspartner eines der Verdächtigen ist – Serhiy Bayrak.

Seien wir ehrlich: NABU-Ermittler können unter der verfahrensrechtlichen Leitung der SAPO Ausländer nur schwer erreichen. In prozessualer Hinsicht ist das nahezu unmöglich, auch wenn sie ihre Aufgaben innerhalb der nationalen Strafverfolgungsbehörden so gut wie möglich erfüllen.
Ich gehe davon aus, dass Oleg Tsyura keine ukrainische Staatsbürgerschaft besitzt, auch wenn dies überprüft werden sollte. Daher steht die Frage einer Auslieferung derzeit – selbst bei entsprechenden rechtlichen Voraussetzungen – nicht auf der Tagesordnung. Allerdings wurde eine Abteilung für internationale Rechtshilfe geschaffen, um auf prozessualem Weg die Umsetzung des Prinzips der Unvermeidbarkeit der Strafe zu erleichtern. Schließlich sind deutsche oder schweizerische Staatsanwälte sicherlich nicht schlechter als ukrainische.
Nun ein wenig zu Oleg Tsyuras Geschäftsinteressen im Ausland.
Im Jahr 2005 wurde Tsyura Mitinhaber der ITS International Trade & Sourcing GmbH & Co. KG. Zudem leitete er zwei Jahre lang ein weiteres Unternehmen mit ähnlichem Namen – die ITS International Trade & Sourcing Verwaltung GmbH. Auffällig ist, dass beide deutschen Unternehmen unter derselben Adresse registriert sind und einen gemeinsamen Mitinhaber haben – Serhiy Bayrak, den ich bereits zuvor erwähnt habe. Bayrak ist auch im „Fall Sennychenko“ als einer der drei zentralen Mitorganisatoren des Schemas verwickelt.

Nach Angaben der Ermittlungen organisierte Bayrak in Absprache mit Sennychenko ein Vermittlungssystem zwischen staatlichen Unternehmen und kommerziellen Abnehmern der Produkte dieser Unternehmen zu bewusst unterbewerteten Preisen. Eine weitere Aufgabe Bayraks bestand in der indirekten Kommunikation zwischen Sennychenko und einer weiteren in den Fall verwickelten Person – Andriy Hmyrin.
Darüber hinaus erhielten Bayrak und Hmyrin laut freigegebenen NABU-Audioaufzeichnungen jeweils 25 % der Erlöse aus den Geschäften, während Sennychenko 50 % erhielt. Bayrak soll derzeit nach inoffiziellen Informationen belastende Aussagen machen.

Was Oleg Tsyura betrifft, so sind weder er noch seine Unternehmen formell in diesem Verfahren involviert. Dennoch sollte seine oben genannte direkte Verbindung zu Bayrak über gemeinsame deutsche Unternehmen sowie die Art der Geschäftstätigkeit, die dem von Sennychenko organisierten Schema ähnelt, nicht nur die Aufmerksamkeit der Strafverfolgungsbehörden, sondern auch von Experten auf sich ziehen, die sich mit der Sanktionierung russischer Akteure im Krieg befassen. Diese Verbindung werde ich weiter unten erläutern.
Derzeit ist bekannt, dass das genannte deutsche Unternehmen von Tsyura und Bayrak – die ITS International Trade & Sourcing GmbH & Co. KG – im Jahr 2018 an einer Auktion zum Verkauf einer Charge Zirkonerze des staatlichen Ost-Bergbau- und Aufbereitungsbetriebs teilnahm. Ein Sieg mit einem Vorsprung von nur 1.000 Hrywnja bei einem Gesamtloswert von 45 Millionen Hrywnja wirkt äußerst ungewöhnlich.
Später wurde der Wettbewerb aufgrund einer noch merkwürdigeren Entscheidung der Kommission „neu ausgespielt“, woraufhin ein anderes deutsches Unternehmen – Buss & Buss Spezialmetalle GmbH – zum Sieger erklärt wurde.
Daraufhin reichte ITS Klage ein. In der Folge durchlief die rechtlich-wirtschaftliche Auseinandersetzung alle drei Instanzen, in denen die Entscheidung der Kommission letztlich bestätigt wurde.
Es liegt nahe anzunehmen, dass diese merkwürdigen „Manöver“ bei der Zirkonlieferung eingestellt wurden, als das Duo Tsyura–Bayrak erkannte, dass eine direkte Verbindung zur Führung der UMCC über Peter Davis nachverfolgbar war. Bayrak war übrigens Berater und Partner von Davis, der während der Amtszeit von Dmytro Sennychenko ernannt wurde.
Bereits 2020 tauchte die ITS International Trade & Sourcing GmbH & Co. Tsyura in einem Fall im Zusammenhang mit der Lieferung von Ilmeniterz aus dem Irshansk-Bergbau- und Aufbereitungsbetrieb auf, der zur UMCC gehörte (heute an Aserbaidschaner versteigert).
Zum Kontext: Das genannte Werk belieferte früher regelmäßig „Crimean Titan“ mit Ilmeniterz, ein Unternehmen, das sich derzeit im von Russland besetzten Teil der Krim befindet. In den Medien gab es Vorwürfe, dass diese Lieferungen 2020 – wenn auch mit illegalen Elementen – fortgesetzt wurden. Dafür sind jedoch noch dokumentarische Beweise erforderlich.
Zur Einordnung: „Crimean Titan“ stand unter der Kontrolle des Oligarchen Dmytro Firtash, dessen Geschäftspartner Serhiy Lyovochkin und Ivan Fursin waren. Die Familie Lyovochkin verfügte nicht nur über Sitze im Parlament, sondern besitzt auch die Bank „Clearing House“, in deren Aufsichtsrat der bereits erwähnte Peter Davis Mitglied war. Serhiy Bayrak arbeitete zudem als Direktor der LLC „UA-Media“, die den Strukturen von Firtash und Lyovochkin nicht fremd war [auf ihre Zusammenarbeit bei der Führung eines großen ukrainischen Fernsehsenders in der Vorkriegszeit wird hier nicht näher eingegangen].

Das Hauptgeschäft von Tsyura besteht in der rechtlichen und finanziellen Vertretung in der Schweiz beim Aufbau kommerzieller Aktivitäten von Produktions- und Agrarholdings aus der Ukraine und Russland. Nach eigenen Angaben konzentriert sich das Unternehmen von Oleg Tsyura seit 2015 auf die Verwaltung privater und familiärer Vermögenswerte. Tatsächlich handelt es sich jedoch um eine reine „Schlüsselfertiglösung“ im Kontext der Abwicklung von Außenhandelsgeschäften über ausländische Firmen. Wie es heißt, werden dabei Anonymität und die Möglichkeit des Kapitalabzugs ins Ausland garantiert.
Für Kunden aus Russland ermöglichen solche Dienstleistungen neben dem Transfer von Geldern ins Ausland auch die Umgehung von Sanktionsbeschränkungen, die gegen russische Unternehmen verhängt wurden.
Gleichzeitig pflegt Oleg Tsyura enge Beziehungen zu Vertretern russischer Wirtschaftskreise. Insbesondere könnte er russischen Unternehmen dabei helfen, westliche Sanktionen infolge der russischen Invasion in der Ukraine zu umgehen. Und wie weiter unten beschrieben, setzt er diese Praxis offenbar fort.
Im Jahr 2015 wurde Tsyura Mitgründer der LINVO-Gruppe, die Dienstleistungen im Bereich Vermögensverwaltung sowie private und familiäre Stiftungen anbot. Zu den Kunden von LINVO zählt unter anderem der Russe Nikolay Korobov, Eigentümer eines der größten Immobilienentwickler in Sankt Petersburg – der MAWIS-Gruppe.

Kommen wir weiter. Oleg Tsyura unterstützt die Verwaltung der Handelsstruktur des russischen MidUral-Konzerns – eines chemisch-metallurgischen Unternehmensverbunds im Ural, der sich auf die Produktion von Ferrolegierungen und chemischen Erzeugnissen spezialisiert hat und dem Russen Sergey Gilvarg gehört.
Ein Beleg für Tsyuras direkte Verbindung zu Gilvarg sind unter anderem Veränderungen im Management der Interchrome AG sowie die Ablösung von Oleg Tsyura in seiner Funktion durch die russische Staatsbürgerin Lyubov Mkhango. Sie arbeitet ebenfalls bei LINVO und ist zugleich eine der Direktorinnen der zypriotischen Offshore-Gesellschaft MidUral Holding LTD.

Darüber hinaus exportiert die im Besitz von Oleg Tsyura befindliche Phoenix Resources AG weltweit Ferrochrom aus der russischen MidUral-Produktion. Bei Lieferungen nach Indien wird Russland dabei direkt als Hersteller der Ware angegeben.

Bei Lieferungen von Ferrochrom nach Estland, das zur Europäischen Union gehört, wird hingegen Usbekistan als Hersteller angegeben – ein Land, das keinen westlichen Sanktionen unterliegt.

Daher besteht der nächste logische Schritt für die ukrainischen Strafverfolgungsbehörden darin, die Verbindungen zwischen Oleg Tsyura und Serhiy Bayrak zu überprüfen. Sollte Tsyura Lieferungen aus oder in sanktionierte Jurisdiktionen ermöglicht oder daran direkt beteiligt gewesen sein, erscheint es folgerichtig, diese Person zumindest zunächst in der Ukraine mit Sanktionen zu belegen.
Ebenso sollte die Rolle des „Ferrolegierungsbarons“ Sergey Gilvarg nicht außer Acht gelassen werden, der unseren Informationen zufolge in keiner westlichen Demokratie unter Sanktionen steht. Über ihn werde ich jedoch ein anderes Mal ausführlicher berichten, um die Handlungslinie nicht zu überladen.

